top of page

Rückenschmerzen 

 

Die Ursachen für die Entstehung von Rückenschmerzen können vielfältig sein. Um die Ursache von Rückenschmerzen näher bestimmen zu können, muss man zunächst wissen, wie die Wirbelsäule strukturell und funktionell aufgebaut ist, und welche dieser Strukturen und/ oder Funktionen der Wirbelsäule gestört sind und womöglich für den Schmerz verantwortlich sind. Eine ausführliche Schmerzanamnese mit einer anschließenden körperlichen Untersuchung und ggf. eine weiterführende bildgebende Diagnostik sind somit für die anschließende Therapie unerlässlich. 

Das Empfinden von Schmerz findet im Gehirn statt, Schmerz ist ein Gefühl und somit ein Bestandteil unseres Sinnessystems, so wie Sehen und Hören. Verschiedene Faktoren können die Wahrnehmung des Schmerzes im Gehirn beeinflussen, wie z.B. ein positives oder negatives Erlebnis. Und genau deshalb dürfen außer den körperlichen Faktoren eine unausgeglichene Psyche, negativer Stress im privaten und beruflichen Bereich, kognitive Bewertung von Schmerz und depressive Verstimmung, und vieles mehr nicht außer Acht gelassen werden. Solche psychosozialen Faktoren können bei der Schmerzwahrnehmung und –verarbeitung eine wichtige Rolle spielen und müssen ebenfalls professionell von entsprechendem Personal behandelt werden. 

Das stabilisierende System der Wirbelsäule

Die Wirbelsäule als zentrales Achsorgan des Rumpfes hat im Wesentlichen die Aufgabe, das Rückenmark, welches als wichtigster Bestandteil des Zentralnervensystems im Wirbelkanal der Wirbelsäule verläuft, zu schützen. 

Der Lendenwirbelsäule kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, weil sie die ganze Last des Rumpfes trägt und über das Becken an die unteren Extremitäten weitergibt.

 

Das stabilisierende System an der Lendenwirbelsäule besteht aus drei Anteilen

 

  1. Anteil: lokales stabilisierendes Muskelsystem

  2. Anteil: globales bewegendes Muskelsystem 

  3. Anteil: passives Stützsystem

 

1. Die lokalen stabilisierenden Muskeln sind in der Regel Muskeln in der Nähe von Gelenken, welche aufgrund ihrer anatomischen Lage und Eigenschaften für die Führung und Stabilisierung der Gelenke verantwortlich sind, sowohl in Ruhe als auch während einer Bewegung. So lassen die stabilisierenden lokalen Muskeln (Rumpfmuskeln) unseren Körper aufrecht stehen und stabilisieren die Wirbelsäule in ihrer Form und Aufrichtung, ohne dass eine von außen sichtbare Bewegung zu erkennen ist. Im Allgemeinen sieht man die Rumpfmuskulatur als Basis aller Körperbewegungen. Die stabilisierenden Muskeln werden schon viel früher vor den bewegenden Muskeln aktiviert, damit die Lendenwirbelsäule unter Belastung in allen Bewegungsebenen so wenig wie möglich selber bewegt und somit geschützt wird. 

Die Rumpfmuskulatur beinhaltet alle Muskeln, die mit den Hüften, dem Schambein und der Lendenwirbelsäule verbunden sind. Die Muskeln des Schultergürtels zählen ebenfalls dazu. Für eine optimale Rumpfstabilität müssen die  Beckenbodenmuskeln aktiviert werden und das Muskelkorsett um die Lendenwirbelsäule (Mm. multifidii und der M. transversus abdominis) herum samt Zwerchfell angespannt sein. Die Mm. multifidii und der M. transversus abdominis bilden einen muskulär-bindegewebigen Stabilisationsgürtel, der zusammen mit Beckenboden und Zwerchfell einen Stabilisationszylinder ergibt. 

Von essentieller Bedeutung für eine optimale Stabilisation der Lendenwirbelsäule sind auch die hüft- und beckenstabilisierenden Muskeln (Mm. gluteii). Die entsprechenden Muskeln gewährleisten durch Stabilisation des Hüftgelenkes und Einstellung der Beckenposition die stabile Basis für die Lendenwirbelsäule, die dem Becken wie ein Schiffsmast aufsitzt. 

Da unsere Füße unser ganzes Körpergewicht durchs Leben tragen, darf die Fußstabilität nicht außer Acht gelassen werden. Eine Insuffizienz der Fußstabilität hat natürlich auch Auswirkungen auf alle nachgeschalteten Gelenke und Muskeln.

2. Sobald wir uns bewegen, kommen die globalen bewegenden Muskeln zum Einsatz. Sie sind somit für jegliche Bewegungen verantwortlich. Sie bestehen aus langen, mehr oberflächig liegenden Muskeln, die eine primär bewegende Funktion haben. Sie sind in der Lage, Bewegungen der Wirbelsäule und Extremitäten schnell und mit hoher Kraft auszuführen.

3. Das passive Stützsystem besteht  aus den knöchernen Bestandteilen der Wirbelsäule, Kapsel und Bandapparat, den Bandscheiben und dem zentralen Nervensystem (Rückenmark) und peripheren Nervensystem (Nervenwurzeln). Eine optimal funktionierende Rumpfmuskulatur schützt und stützt diese passiven Strukturen. Bei konstitutionell hypermobilen Menschen ist die Zusammensetzung dieses passiven Stützsystems mehr elastisch, weshalb den lokal stabilisierenden Muskeln eine größere Bedeutung zukommt (siehe Artikel „Konstitutionelle Hypermobilität“).

Über ein kompliziertes Kontroll- und Steuerungssystem unseres Nervensystems werden die beiden Muskelsysteme bei Haltung und Bewegung zum richtigen Zeitpunkt und in richtiger Reihenfolge aktiviert. 

Nur bei optimaler Funktion und Koordination (Zusammenarbeit) der bewegenden und haltendenden Muskulatur wird Stabilität gewährleistet und schmerzfreie Bewegung und Haltung ist möglich. 

Ist diese Zusammenarbeit gestört, sprechen wir von muskulären Dysbalancen

Wie entstehen muskuläre Dysbalancen?

Der Grund für die unbefriedigende Arbeit der stabilisierenden Muskeln liegt meist in der zunehmenden Monotonie der Körperhaltungen beim Arbeiten im Stehen und im Sitzen, mangelnde bzw. fehlende körperliche Beanspruchung, eine einseitige Belastung beim Sport oder im Alltag, eine falsche Bewegungsausführung, aber auch eine Verletzungen am Bewegungsapparat kann die Ursache sein. Auch im üblichen Sport (Besuch des Fitnessstudios) kann die Ursache für eine muskuläre Dysbalance liegen. Denn es wird oft grundsätzlich Wert auf das Training der bewegenden Muskulatur gelegt, so dass mit der Zeit ein Ungleichgewicht zwischen stabilisierender und bewegender Muskulatur im Körper entsteht. Während durch das Training die bewegende Muskulatur sich gut ausprägt, bleiben die stabilisierenden Muskeln auf der Strecke und sind meist sehr schwach. Ohne eine effektive lokale Rumpfmuskulatur ist die Lendenwirbelsäule somit maximalen Schub- und Scherkräfte ausgesetzt, ein optimaler Gelenkschutz durch die lokalen haltenden Muskeln ist nicht gewährleistet. 

Die Insuffizienz/ Schwäche der stabilisierenden tiefen Muskulatur führt dazu, dass die langen oberflächlichen Muskeln die Haltearbeit übernehmen. Dafür sind diese jedoch über längere Zeit weder steuerungsmäßig, noch stoffwechselmäßig geeignet und können diese Aufgabe nicht ideal sicherstellen. Diese wird überlastet und schmerzt durch die Ausbildung von schmerzhaften Triggerpunkten/ Tendomyosen. Dieser Zustand führt klinisch zur Entstehung der häufigsten haltungsabhängigen Rückenschmerzen (Schmerzen beim Sitzen/ Stehen). Hingegen bessern sich die Schmerzen z.B. beim schnellen Gehen durch die Trägheit der Masse. Das unterscheidet sie von den strukturell bedingten Schmerzen (z.B. bei Arthrose), die besonders bewegungs- und belastungsabhängig vorkommen.

Was sind die Folgen einer muskulären Dysbalance?

Eine muskuläre Dysbalance kann folgendes hervorrufen:

  1. Durch eine Schwäche der lokalen Muskeln kann es beispielsweise bei intensiver Bewegung, Sturz oder Stoß zu schmerzhaften immobilisierenden Blockierungen (Funktionsstörungen) am Rücken (z.B. bei einem „Hexenschuss“) oder gar zu einem Bandscheibenvorfall mit Verletzung der in der Nähe befindlichen Nervenwurzeln kommen.

  2. Eine Fehl- oder Überbelastung führt bei einigen Muskeln zur Verkürzung bei erhaltener Kraft, bei anderen Muskeln typischerweise zur Abschwächung bei normaler Länge. In beiden Fällen können die Muskeln schmerzen, Schmerz- und Triggerpunkte(Tendomyosen) entwickeln. Es handelt sich dabei um eine Art schmerzhafte abakterielle Entzündung von Muskulatur und Sehnengewebe. Die Folgen sind z.B. eine verspannte Nacken- und Schultermuskulatur, die auf Dauer zu Schmerzen führt – auch Kopfschmerzen und Schwindel können z.B. in der Folge auftreten.

  3. Während am Anfang ein muskuläres Problem vorliegt, kann eine unbehandelte anhaltende muskulärer Dysbalance im weiteren Verlauf zu strukturellen Schäden an den Knochen, an der Wirbelsäule an den Wirbelkörpern und Bandscheiben, führen. Über eine schlechte Körperhaltung mit einer Fehlbelastung der Wirbelsäule kann es zu Verschleißerscheinungen an der dieser (Bandscheibenprotusionen, Osteochondrose, Facettengelenksarthrose, Spinalkanalstenose, Wirbelgleiten,…) kommen, die dann ebenfalls ursächlich für die Schmerzen sein können. 

  4. Die Belastbarkeit des Bewegungsapparates (Gelenke, Muskeln, Sehnen, Bänder) wird herabgesetzt, die Verletzungsanfälligkeit erhöht.

Zusammenfassend kann man sagen, dass vor allem statisch-dynamische Fehlbelastungen verbunden mit einer Schwäche des lokalen tiefen Muskelsystems oftmals Auslöser unspezifischer Schmerzen sind. Eine unphysiologische Körperstatik und neuromuskuläre Defizite führen zur Überlastung des Gewebes mit funktionellen und strukturellen Veränderungen und schließlich zu Schmerzen.

Welche Symptome merke ich bei einer Rumpfinstabilität?

-      plötzlich einschießende Schmerzen in der Lenden- oder Halssäule bei Bewegung, z.B. beim Bücken oder schnellem Umdrehen

-      das Gefühl, der Rücken bricht durch oder der Kopf wird nicht vom Hals getragen

-      Schmerzen und Steifheit nach dem Aufstehen aus der Bauchlage oder nach längerem Sitzen im Auto und Schreibtischtätigkeiten

-      Schmerzen und Steifheit morgens nach dem Aufstehen

-      Schmerzen nach anstrengenden Tätigkeiten wie längerem Tragen von Gewichten (z.B. beim Einkauf)

-      häufig wiederkehrende (rezidivierende) Schmerzattacken 

 

Diese Symptome können allerdings auch durch andere Ursachen auftreten. Dies sind Hinweise für den Arzt, die weitere Diagnostik in bestimmte Bahnen zu lenken.      

Was ist das Ziel?

Das Hauptziel in der Behandlung von Rückenschmerzen ist nicht ausschließlich die vorrübergehende Symptomverbesserung, sondern auf Grund der Neigung zu Rezidiven und Chronifizierung der langfristige Therapieerfolg und die Rezidivvermeidung.

 

Nahziele

  • Erlernen des Aktivierens der tiefen Muskulatur über Wahrnehmungsschulung

  • Verbesserung der Kraftausdauer der tiefen Muskulatur

  • Integration beider (globales und lokales) Muskelsysteme, Aktivität ohne Verlust von Stabilität

  • Automatisches Übertragen der korrekten Muskelaktivität in Alltagssituationen

 

Fernziele

  • Verbesserung der Wirbelsäulenstabilität und Reduktion der durch Instabilität verursachten Rücken-Nacken- oder Kopfschmerzen in Bezug auf Schmerzdauer und Intensität

  • Verringerung der Rückfallquoten und Verhinderung von Chronifizierung

 

Bis zum Erreichen der beiden letzten Therapieziele ist es für den Patienten ein beschwerlicher Weg, der absolute Motivation und Mitarbeit voraussetzt. 3 Monate intensives tägliches Üben (15 min) sind erforderlich, um eine verbesserte Grundstabilität und anhaltende Schmerzreduktion zu erreichen, danach können in den meisten Fällen die Übungseinheiten reduziert werden. 

 

Der konstituionell hypermobile Patient ist bei Insuffizienz der tiefenstabilisierenden Muskulatur und der daraus resultierenden muskulären Dysbalance in der Ausprägung von Gelenk- und Muskelschmerzen mehr betroffen, als der nicht hypermobile Mensch. Das tiefenstabilisierende Muskeltraining (siehe Artikel) ist für ihn/ sie essentiell. 

 

Für Rückfragen stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.

Dr. Bülent Kılıç

bottom of page